Judo

Kampfsportliche Übungen werden schon sehr lange betrieben. Sie entwickelten sich infolge einer Lebensweise, die anfangs auf Sicherung des Lebensunterhaltes und dann auf die Vorbereitung kriegerischerischer Auseinandersetzungen gerichtet war. Die gezielte Einordnung kampfsportartlicher Übungen in ein System körperlicher Betätigung und Ertüchtigung, führte zu ihrer ständigen Vervollkommnung. An den Höfen der Feudalherren in Japan, arbeiteten ab etwa dem 16. Jahrhundert Meister der Selbstverteidigungskunst, die die Samurei in der Kunst des Nahkampfes unterrichteten. Sie verwendeten dazu Elemente des Ju-Jitsu, das nach allgemeinen Angaben in 10. Jahrhundert von China nach Japan gekommen sein soll. Mit der Bürgerlichen Revolution im Jahre 1868 verloren die Samurei ihre Privilegien. Das Ju-Jitsu verlor als Kriegskunst, auch infolge der Weiterentwicklung der Feuerwaffen, an Bedeutung und geriet fast völlig in Vergessenheit.

Unter dem ständig wachsenden Einfluß der führenden europäischen Industrieländer und der USA, kam es in Japan Ende des 19. Jahrhunderts zu einer raschen Entwicklung der Industrie und der Wissenschaft. Damit verbunden war eine geistige Vervollkommnung der Jugend, die aber wegen ihrer einseitigen Akzentuierung zu einer Vernachlässigung der physischen Entwicklung, vor allem unter den Studenten, führte. Es wurden bald Befürchtungen laut, daß die Jugend aufgrund ihrer schlechten körperlichen Konstitution den Aufgaben der bürgerlichen Gesellschaft nicht gewachsen sein würde. Der an der Universität Tokio lehrende, deutsche Professor, Erich Baelz, versuchte zunächst dieser Tendenz durch Einführung des deutschen Turnens entgegenzuwirken. Als dieses Experiment mißlang, regte er zum Studium der alten Kampfkünste an. Den bereits siebzigjährigen Japaner Totsuka veranlaßte er zu einer Vorführung in Ju-Jitsu. Ein Schüler von Baelz, der junge Jigoro Kano, studierte daraufhin die Kunst der Selbstverteidigung bei mehreren Meistern des Ju-Jitsu. Auffällig für ihn war die Härte dieses Tuns, das nach wie vor auf den Ernstfall in der kriegerischen Auseinandersetzung vorbereitete. Er gewann aber die Überzeugung, hier wertvolle Elemente für die körperliche Bildung und moralische Erziehung der Jugend entdeckt zu haben. Als 23-jähriger gründete er im Februar 1882 in einem buddhistischen Tempel der Universität Tokio eine Trainingsstätte für Ju-Jitsu. Dieses Datum wird international als Gründungstermin des heute noch weltberühmten Kodokan angesehen.

Durch theoretische und praktische Studien, entwickete Kano dieses System der Selbstverteidigung zu einer modernen Kampfsportart, dem Judo. Sein Grundprinzip war die Einheit von körperlicher und geistiger Erziehung. Für die Entwicklung des Jiu-Jitsu zum Judo waren darüberhinaus folgende Auffassungen Kanos von Bedeutung:

  • Ju-Jitsu als Kunst der Selbstverteidigung entspricht in seinen Formen der körperlichen Betätigung, den Anforderungen der feudalistischen Gesellschaftsordnung. Seine Weiterentwicklung zu einer modernen Sportart, bedingt die Eliminierung gefährlicher Angriffs- und Verteidigungstechniken. So wurden insbesondere Schläge und Stöße mit Armen und Beinen entfernt und Hebeltechniken in ihrer Anwendung begrenzt. Hinzu kamen Übungen des Fallens. Diese Veränderungen führten dazu, dass Judo als sportlicher Zweikampf bei starker Einschränkung von Unfallquellen betrieben werden konnte.
  • Das effektive Anwenden einer Judotechnik setzt das Beachten des dazu günstigsten Zeitpunktes und das Üben der Judotechnik in der erforderlichen Situation voraus. (Kudo, 1967) Aus dieser Überlegung entwickelte Kano die Lehre von der Gleichgewichtsstörung (KUZUSHI). Mit diesen Erkenntnissen waren wichtige theoretische Voraussetzungen zur Entwicklung des Judo als moderne Zweikampfsportart gegeben.
  • Judo ist zu einem Erziehungsprinzip für das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Dazu nutzte er religiös-philosophische Inhalte des Zen-Buddhismus. In der Folgezeit erhöhte sich die Ausstrahlung des Kodokan ständig. Judo bot ein System von Körperübungen, das vom aufblühenden Kapitalismus in Japan zur Heranbildung körperlich leistungsfähiger Arbeiter genutzt wurde. Judo wurde zum obligatorischen Unterrichtsfach in der Schule und nahm dadurch einen enormen Aufschwung in Japan. Aufgrund der ideologischen Beziehung zum Zen-Buddhismus, nahm Judo in Japan, insbesondere in Vorbereitung auf den zweiten Weltkrieg, Einfluß auf solche geistigen Haltungen der Bevölkerung wie Hierarchiedenken, Geringschätzung des Lebens, Unterordnen des einzelnen unter die Anforderungen der imperialistischen Gesellschaft u.a. Die Wirkung des Kodokan blieb aber nicht auf Japan beschränkt. Judo entwickelte sich in den meisten Ländern der Welt zu einer modernen Kampfsportart. 1950 wurde die Internationale Judo-Förderation (IJF) mit fünf Kontinentalunionen gegründet. Seit 1956 werden Weltmeisterschaften im Judo durchgeführt.